OLG Hamm: Zwischenstreit über das Bestehen eines Zeugnisverweigerungsrechts (Verweigerung eines Krankenhauses zur Herausgabe von Krankenunterlagen)

Quelle: Oberlandesgericht Hamm – Beschluss vom 13.06.2024 – I 10 W 3/23 (Vorinstanz AG Arnsberg Beschluss vom 16.11.2022 – 11 VI 526/21)

Hintergrund des Falls:

Es geht um die Erbfolge nach der verstorbenen E. H. D. Die Erblasserin hatte zunächst 1998 ihre Schwester (die Antragstellerin) in einem privatschriftlichen Testament zur Alleinerbin eingesetzt. Während eines Krankenhausaufenthalts im Januar 2017 erstellte die Erblasserin jedoch ein weiteres, notarielles Testament, in dem sie die Beteiligten zu 2 bis 4 (ihre Nichte und deren Kinder) als Erben zu je einem Drittel einsetzte. Dieses notarielle Testament wurde auf der Intensivstation erstellt, während die Erblasserin wegen einer schweren Erkrankung (akute nekrotisierende Pankreatitis) behandelt wurde.

Die Antragstellerin bezweifelt die Testierfähigkeit der Erblasserin zum Zeitpunkt des zweiten Testaments und verlangt die Herausgabe der Krankenunterlagen, um die Gültigkeit des Testaments vom Januar 2017 anzufechten und das ursprüngliche Testament von 1998 wieder geltend zu machen.

Zwischenstreit:

Die Betreiberin des Krankenhauses (Beteiligte zu 5) weigert sich, die Krankenunterlagen an das Gericht oder den gerichtlich bestellten Sachverständigen herauszugeben. Sie beruft sich auf die ärztliche Schweigepflicht und argumentiert, dass keine Befreiung von dieser Schweigepflicht vorliege. Zusätzlich verweigern die Beteiligten zu 2 bis 4 (die Erben nach dem zweiten Testament) ebenfalls die Zustimmung zur Herausgabe der Unterlagen.

Gerichtliche Entscheidungen:

  1. Schweigepflicht und Zeugnisverweigerungsrecht: Das Gericht stellt fest, dass die ärztliche Schweigepflicht zwar grundsätzlich ein Zeugnisverweigerungsrecht begründen kann, dies jedoch in diesem Fall nicht zutrifft. Die ärztliche Schweigepflicht erlischt mit dem Tod des Patienten nicht vollständig, jedoch kann der mutmaßliche Wille der verstorbenen Person dazu führen, dass die Schweigepflicht aufgehoben wird. Da es hier um die Klärung der Testierfähigkeit der Erblasserin geht, besteht ein besonderes Interesse daran, die Krankenunterlagen zur Verfügung zu stellen. Das Gericht argumentiert, dass es im wohlverstandenen Interesse eines Erblassers liegt, Zweifel an seiner Testierfähigkeit aufzuklären, um sicherzustellen, dass sein letzter Wille korrekt umgesetzt wird.
  2. Verhältnis zur Patientenverfügung: Die Beteiligte zu 5 führt an, dass am selben Tag wie das notarielle Testament (24. Januar 2017) eine postmortale Vollmacht zugunsten der Erben (Beteiligte 2 und 3) errichtet wurde, die ebenfalls die ärztliche Schweigepflicht umfasse. Doch das Gericht sieht die Wirksamkeit dieser Vollmacht in Frage gestellt, da die Geschäftsfähigkeit der Erblasserin zu diesem Zeitpunkt bestritten wird. Ohne eine Klärung der Testierfähigkeit kann die postmortale Vollmacht nicht als Grundlage für die Verweigerung der Herausgabe der Unterlagen dienen.
  3. Verfahren und Zwangsmittel: Das Gericht hatte bereits in einem früheren Beschluss (16. Februar 2024) die Herausgabe der Krankenunterlagen unter Androhung eines Ordnungsgeldes angeordnet. Da die Beteiligte zu 5 sich weiterhin weigert, die Unterlagen vorzulegen, wird der Streit über die Berechtigung dieser Weigerung im Rahmen eines Zwischenverfahrens entschieden. Das Gericht bestätigt letztlich, dass die Beteiligte zu 5 nicht berechtigt ist, die Herausgabe der Unterlagen zu verweigern.

Fazit:

Das Gericht weist die Argumente der Beteiligten zu 5 (Krankenhausträgerin) zurück und erklärt, dass die Krankenunterlagen für die Beurteilung der Testierfähigkeit der Erblasserin notwendig sind. Die ärztliche Schweigepflicht wird durch den mutmaßlichen Willen der Verstorbenen aufgehoben, da anzunehmen ist, dass die Erblasserin ein Interesse an der Aufklärung der Zweifel an ihrer Testierfähigkeit hatte. Daher müssen die Unterlagen dem Gericht zur Verfügung gestellt werden, um die Erbfolge korrekt zu klären.