BVerfG: Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen gerichtliche Entscheidungen eines abgeschlossenen Erbscheinsverfahrens

Quelle: Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts Nr. 70/2024 vom 30.08.2024 – Beschluss vom 13.07.2024 – 1 BvR 1929/23

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsbeschwerde eines Erbprätendenten nicht zur Entscheidung angenommen. Dieser wendet sich gegen gerichtliche Entscheidungen eines abgeschlossenen Erbscheinsverfahrens.

Die Verfassungsbeschwerde wahrt bereits nicht den Grundsatz der Subsidiarität, weil der Beschwerdeführer nicht vorgetragen hat, dass er neben der Durchführung des Erbscheinsverfahrens auch erfolglos eine Erbenfeststellungsklage erhoben hat.

Der Grundsatz der Subsidiarität erfordert, dass ein Beschwerdeführer über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach der Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreift, um die Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung durch die Fachgerichte zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern.

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BGH: Notarbeschwerdeverfahren wegen Verweigerung der Erstellung eines Nachlassverzeichnisses

Quelle: BGH Online, Beschluss vom 19.06.2024 – IV ZB 13/23

Im Zusammenhang mit der Urkundsgewährungspflicht des Notars sind die Anforderungen an die Annahme eines ausreichenden Grundes gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 BNotO hoch, wenn es um die Verweigerung der Erstellung eines Nachlassverzeichnisses gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB geht. Hat der Notar seine Ermittlungspflicht erfüllt und der Erbe in zumutbarem Maß zur Klärung beigetragen, berechtigen verbleibende Unklarheiten den Notar nicht, seine Amtstätigkeit zu verweigern.

Die Beschwerdeführerin, Alleinerbin und Lebensgefährtin des Erblassers, forderte vom Notar die Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses, nachdem sie dazu verurteilt worden war. Im Februar 2021 beauftragte sie den Notar mit dieser Aufgabe. Der Notar führte umfangreiche Recherchen durch, darunter Abfragen in elektronischen Grundbüchern und bei zehn Kreditinstituten.

Ein Jahr später lehnte der Notar die Erstellung des Nachlassverzeichnisses ab, da er die hohen Anforderungen der Rechtsprechung nicht erfüllen könne. Er begründete dies damit, dass seine Ermittlungen ausgeschöpft seien und die Erbin, aufgrund ihrer kurzen Lebensgemeinschaft mit dem Erblasser, keine ausreichenden Informationen liefern könne. Außerdem hatte die Erbin viele Dokumente noch nicht gesichtet und konnte keine genauen Angaben zu Schenkungen an die Enkelin des Erblassers machen. Daher sah der Notar die Erstellung eines Nachlassverzeichnisses als unmöglich an.

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OLG Hamm: Zwischenstreit über das Bestehen eines Zeugnisverweigerungsrechts (Verweigerung eines Krankenhauses zur Herausgabe von Krankenunterlagen)

Quelle: Oberlandesgericht Hamm – Beschluss vom 13.06.2024 – I 10 W 3/23 (Vorinstanz AG Arnsberg Beschluss vom 16.11.2022 – 11 VI 526/21)

Hintergrund des Falls:

Es geht um die Erbfolge nach der verstorbenen E. H. D. Die Erblasserin hatte zunächst 1998 ihre Schwester (die Antragstellerin) in einem privatschriftlichen Testament zur Alleinerbin eingesetzt. Während eines Krankenhausaufenthalts im Januar 2017 erstellte die Erblasserin jedoch ein weiteres, notarielles Testament, in dem sie die Beteiligten zu 2 bis 4 (ihre Nichte und deren Kinder) als Erben zu je einem Drittel einsetzte. Dieses notarielle Testament wurde auf der Intensivstation erstellt, während die Erblasserin wegen einer schweren Erkrankung (akute nekrotisierende Pankreatitis) behandelt wurde.

Die Antragstellerin bezweifelt die Testierfähigkeit der Erblasserin zum Zeitpunkt des zweiten Testaments und verlangt die Herausgabe der Krankenunterlagen, um die Gültigkeit des Testaments vom Januar 2017 anzufechten und das ursprüngliche Testament von 1998 wieder geltend zu machen.

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OLG Zweibrücken: Enterbung durch testamentarische Erbeinsetzung?

Quelle: Beschluss des Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 27.05.2024 – 8 W 41/23 (Vorinstanz AG Kusel – Beschluss vom 13.04.2023 – 1 VI 172/22)

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Zweibrücken befasst sich mit der Frage, ob die testamentarische Erbeinsetzung einer dritten Person (hier der Lebensgefährtin des Erblassers) als Ersatzerbin zugleich die Enterbung eines direkten Abkömmlings (hier des Sohnes des Erblassers) darstellt und ob die Enkelin der Lebensgefährtin im Falle ihres Vorversterbens als Ersatzerbin gelten kann. Die wichtigsten Argumente aus der Entscheidung lassen sich wie folgt zusammenfassen:

1. Enterbung des Sohnes durch testamentarische Anordnungen

  • Der Erblasser hatte in einem Testament seine Tochter als Alleinerbin eingesetzt und ausdrücklich festgehalten, dass sein Sohn bereits den Pflichtteil nach dem Tod der Mutter erhalten habe. Dieser Hinweis auf den Pflichtteil bezieht sich auf eine in einem früheren Erbvertrag mit der Ehefrau (Mutter der Kinder) getroffene Pflichtteilsstrafklausel.
  • Diese Klausel besagte, dass ein Kind, das den Pflichtteil nach dem Tod des Erstversterbenden fordert, auch beim Tod des Längstlebenden nur den Pflichtteil erhält.
  • Der Erblasser hat demnach bewusst und eindeutig den Sohn enterbt, indem er diese Klausel in seinem Testament bestätigt hat. Der Sohn sollte also nur den Pflichtteil erhalten, nicht mehr.
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OLG Frankfurt a.M.: Afghanische sog. Handschuh-Ehe kann in Deutschland wirksam sein

Quelle: Pressemitteilung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main Nr. 22/2024 vom 29.04.2024 – Beschluss vom 04.04.2024 – 6 UF 204/23

Eine in Abwesenheit eines Ehepartners in Afghanistan geschlossene sog. Handschuh-Ehe widerspricht nicht dem ordre public, wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass für den Willen der Eheschließung selbst eine Stellvertretung vorliegt.  Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) bestätigte mit heute veröffentlichter Entscheidung den Beschluss des Amtsgerichts, dass diese Ehe nicht aufzuheben, auf den Hilfsantrag hin aber zu scheiden ist.

Die Beteiligten, beide afghanische Staatsangehörige, haben im Januar 2022 in Afghanistan die Ehe in Form einer sog. Handschuh-Ehe geschlossen. Bei der Eheschließung war nur die Antragsgegnerin anwesend, nicht aber der Antragsteller, der seit 2015 in Deutschland lebte. Seit der Verlobungsfeier 2019 telefonierten die Beteiligten regelmäßig miteinander, insbesondere fanden Videotelefonate statt. Im August 2022 flüchtete die Antragsgegnerin nach Deutschland und traf dort erstmals auf ihren Mann. Die Beteiligten hielten sich etwa drei Wochen zusammen bei einem Bekannten auf. Aufgrund einer dann erfolgten Selbstmeldung und ihrer eigenen Alterseinschätzung wurde die Antragsgegnerin als unbegleitete minderjährige Jugendliche in Obhut genommen.

Der Antragsteller beantragt die Aufhebung der in Afghanistan geschlossen Ehe, hilfsweise die Scheidung. Er behauptet, die Antragsgegnerin habe nur zum Erhalt eines Visums für die Einreise nach Deutschland mit ihm die Ehe geschlossen.

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LG Lübeck: Der letzte Wille ist (nicht immer) eindeutig

Quelle: Pressemitteilung des Landgerichts Lübeck vom 18.04.2024 – Urteil vom 13.12.2023 – 6 O 206/22

Im Streit um das Erbe hatte das Landgericht Lübeck den Willen der Verstorbenen zu ermitteln. Das Ergebnis: Eines der Kinder wurde enterbt.

Was ist passiert?

Eine Familie ist zerstritten. Die Mutter setzt handschriftlich ein Schreiben mit Betreff Pflichtteilsentzug für eines ihrer Kinder auf. Jahre später verfasst die Mutter maschinell ein Schreiben, wonach im Falle ihres Todes ein Kind ihr Grundstück und Vermögen erhalten und ein anderes Kind vom Erbe ausgeschlossen sein soll. Die Mutter verstirbt, die Kinder streiten um das Erbe.

Vor dem Landgericht Lübeck meint das eine Kind, es liege kein wirksames Testament vor, er sei also gesetzlicher Erbe. Das Geschwisterkind entgegnet, es sei mit dem Schreiben der Mutter als alleiniger Erbe eingesetzt worden.

Was steht dazu im Gesetz?

Jeder kann durch ein Testament festlegen, wer nach seinem Tode erben soll (und wer nicht). Das Testament muss von Hand geschrieben sein, eine Unterschrift unter einem gedruckten Text reicht nicht aus. Das Gericht muss ermitteln, was die verstorbene Person regeln wollte (§ 2084 BGB). Wenn keine Erben benannt wurden, greift die gesetzliche Erbfolge. Danach erben Kinder zu gleichen Teilen (§ 1924 BGB). Sie können zwar enterbt werden, haben dann aber einen Anspruch auf einen Mindestanteil, den sogenannten Pflichtteil (§§ 2303 ff. BGB). In bestimmten Fällen kann dieser entzogen werden (§ 2333 BGB).

Wie hat das Gericht entschieden?

Das Gericht hat entschieden, dass es ein gültiges Testament gibt, in dem ein Kind enterbt wurde. Dabei hat das Gericht die Schreiben der Mutter sowie die Umstände vor und nach deren Erstellung berücksichtigt. Das maschinell geschriebene Dokument sei kein gültiges Testament, könne aber zur Interpretation des handschriftlichen Schreibens herangezogen werden. Daraus ergebe sich, dass die Mutter das Kind enterben wollte. Das lasse sich sowohl durch die familiären Umstände als auch frühere dahingehende Äußerungen der Mutter bestätigen.

Das Urteil vom 13.12.2023 (Az. 6 O 206/22) ist nicht rechtskräftig

BSG: Väter werden bei der Zuordnung von Kindererziehungszeiten nicht diskriminiert

Quelle: Pressemitteilung des Bundessozialgerichts Nr. 14 vom 18.04.2024 – Urteil vom 18.04.2024 – B 5 R 10/23 R

Es liegt keine verfassungswidrige Benachteiligung von Männern darin, dass Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung in der gesetzlichen Rentenversicherung im Zweifel bei der Mutter anerkannt werden. Das hat der 5. Senat des Bundessozialgerichts heute entschieden (Aktenzeichen B 5 R 10/23 R).

Ebenso wenig wie die Vorinstanzen hat das Bundessozialgericht verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Auffangregelung in § 56 Absatz 2 Satz 9 SGB VI. Danach wird die Erziehungszeit der Mutter zugeordnet, wenn die Eltern keine übereinstimmende Erklärung zur Zuordnung der Erziehungszeit abgegeben haben und eine überwiegende Erziehung durch einen Elternteil nicht vorliegt. Zwar führt die Anwendung der Auffangregelung zu einer unmittelbaren Benachteiligung des Kindsvaters. Die Ungleichbehandlung ist aber zur Verwirklichung des Gleichstellungsgebots ausnahmsweise gerechtfertigt. Indem die Erziehungszeit im Zweifel der Mutter zuordnet wird, werden faktische Nachteile ausgeglichen, die infolge der Erziehungsleistung beim Erwerb von Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung bestehen und die Frauen weiterhin deutlich häufiger betreffen als Männer. Obgleich die Erwerbstätigenquote und teilweise auch der zeitliche Umfang der Erwerbstätigkeit von Müttern mit Kindern unter drei Jahren und auch darüber hinaus gestiegen ist, bleiben sie immer noch deutlich hinter denjenigen der Väter zurück. Diese, die Mütter bevorzugende Auffangregelung ist auch verhältnismäßig. Die übrigen Zuordnungsregelungen in § 56 Absatz 2 SGB VI lassen genügend Raum für eine Zuordnung der Erziehungszeit an einen männlichen Elternteil.

OLG Frankfurt a.M.: Scheidungsverfahren – Getrenntleben der Eheleute trotz gemeinsamer Wohnung

Quelle: Pressemitteilung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main Nr. 19/2024 vom 15.04.2024 – Beschluss vom 28.03.2024 – 1 UF 160/23

Die Eheleute streiten um den Zeitpunkt der wechselseitigen Auskunftsverpflichtung zum Trennungsvermögen im Rahmen ihres Scheidungsverfahrens. Wenn die Scheidung beantragt ist, kann jeder Ehegatte von dem anderen Auskunft über das Vermögen zum Zeitpunkt der Trennung verlangen (§ 1379 BGB). Dieser Auskunftsanspruch soll den Schutz des ausgleichsberechtigten Ehegatten vor – für die Berechnung eines etwaigen Zugewinnanspruchs relevanten – Vermögensmanipulationen in der Trennungszeit verbessern. 

Die Annahme der Trennung der Eheleute erfordert ein der räumlichen Situation entsprechendes Höchstmaß der Trennung. Verbleibende Gemeinsamkeiten in Form gemeinsamer Mahlzeiten, der Vornahme von Erledigungen und Einkäufen für den anderen stehen der Trennung nicht entgegen, wenn sie sich als unwesentlich darstellen. Dies gilt auch für einen freundschaftlichen, anständigen und vernünftigen Umgang der Ehegatten miteinander, insbesondere, wenn gemeinsame Kinder im Haushalt leben. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat mit heute veröffentlichter Entscheidung der Beschwerde der Ehefrau auf Feststellung eines früheren Trennungszeitpunkts Recht gegeben.

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OLG Frankfurt a.M.: Datin-Plattform – Zweifel an der Vaterschaft

Quelle: Pressemitteilung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main Nr. 18/2024 vom 09.04.2024 – Beschluss vom 01.02.2024 – 1 UF 75/22

Ein Kennenlernen über eine Dating-Plattform allein begründet keine schwerwiegenden Zweifel gegen die gesetzliche Vaterschaftsvermutung wegen Verdachts des Mehrverkehrs.

Bei der Feststellung, ob schwerwiegende Zweifel an der Vaterschaft vorliegen, reicht ein nur möglicher, aber weder wahrscheinlicher noch bewiesener Mehrverkehr nicht aus. Insbesondere aus der Tatsache, dass sich die Mutter des Kindes und der Putativvater über ein Internetportal kennengelernt haben, drängt sich nicht auf, dass die Mutter in der Empfängniszeit mit Anderen geschlechtlich verkehrt hat. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) hat mit heute veröffentlichte Entscheidung die Beschwerde des (Putativ)Vaters gegen den seine Vaterschaft feststellenden Beschluss des Amtsgerichts zurückgewiesen.

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BVerfG: Gesetzliche Regelungen über die Vaterschaftsanfechtung durch leibliche Väter sind mit dem Elterngrundrecht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) unvereinbar

Quelle: Pressemitteilung Nr. 35/2024 vom 09.04.2024 – Urteil vom 09.04.2024 – 1 BvR 2017/21

Mit heute verkündetem Urteil hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die gesetzliche Regelung über das Recht des leiblichen Vaters, die rechtliche Vaterschaft eines anderen Mannes für sein Kind anzufechten, mit dem Grundgesetz unvereinbar ist. Sie trägt dem Elterngrundrecht leiblicher Väter nicht hinreichend Rechnung. Diese gehören zu den Eltern im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) und können sich auf das Elterngrundrecht ebenso wie die rechtlichen Eltern des Kindes berufen.

Das Elterngrundrecht bedarf einer Ausgestaltung durch den Gesetzgeber. Er kann dabei — abweichend vom bisherigen Recht im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) — die rechtliche Elternschaft des leiblichen Vaters neben der Mutter und dem rechtlichen Vater vorsehen. Hält er dagegen an einer Beschränkung der rechtlichen Elternschaft auf zwei Elternteile fest, muss zugunsten des leiblichen Vaters ein hinreichend effektives Verfahren zur Verfügung stehen, das ihm ermöglicht, anstelle des bisherigen rechtlichen Vaters selbst rechtlicher Vater seines Kindes zu werden. Letzterem genügt das bisherige Recht vor allem deshalb nicht, weil es nicht erlaubt, eine bestehende oder vormalige sozial-familiäre Beziehung zwischen dem Kind und seinem leiblichen Vater sowie dessen bisherige Bemühungen um die rechtliche Vaterschaft zu berücksichtigen.

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