OLG Frankfurt: für strenge Prüfung der Testierfähigkeit beim Verdacht chronischer Wahnvorstellungen

Quelle: Pressemitteilung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 19.09.2017

Beschluss vom 17.8.2017 – Az. 20 W 188/16

Setzt eine Erblasserin, die zu Lebzeiten unter Bestehlungsängsten litt und deshalb Detektive beschäftigte, diese Detektive als ihre Erben ein, ist konkret zu prüfen, ob die Erblasserin infolge krankhafter Wahnvorstellungen testierunfähig war. Dies stellte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) mit einem heute veröffentlichten Beschluss klar.

Die Beteiligten streiten über die Testierfähigkeit einer kinderlos und verwitwet verstorbenen Erblasserin. Die Beschwerdeführer sind entfernte Verwandte der Erblasserin und mögliche gesetzliche Erben. Die  Erblasserin setzte die mit ihr nicht verwandten Beschwerdegegner als ihre Erben ein. Ihr Testament begann mit den Worten: „Mein Testament! Ich bin im vollen Besitz meiner geistigen Kräfte. Mein letzter Wille“ und endete mit dem nicht unterschriebenen Zusatz: „Mein letzter Wille! Die Verwandtschaft soll nichts mehr erhalten.“

Zu Lebzeiten hatte die Erblasserin die Beschwerdegegner als Detektive beschäftigt, da sie sich fortlaufend von Dieben bestohlen glaubte. Die Beschwerdegegner sollen  ihr Haus u.a. mit Kameras ausgestattet und einen mittleren fünfstelligen Betrag für detektivische Dienstleistungen erhalten haben.

Die Beschwerdeführer wenden sich gegen die Erteilung eines Erbscheins an die Beschwerdegegner. Sie sind der Ansicht, dass die  Erblasserin zum Zeitpunkt der Abfassung des Testaments an einem krankhaften Verfolgungswahn gelitten habe und deshalb nicht mehr testierfähig gewesen sei.

Das Nachlassgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Testierfähigkeit und mündlicher Anhörung des Sachverständigen festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Erteilung eines Erbscheins an die Beschwerdegegner vorliegen würden. Testierunfähigkeit könne nicht festgestellt werden, da die Möglichkeit bestehe, dass die Erblasserin bei der Testamentserrichtung in einem „lichten Augenblick“ gehandelt habe.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beschwerdeführer. Das OLG hat nunmehr den Beschluss aufgehoben und die Sache an das Nachlassgericht zur weiteren Aufklärung zurückverwiesen. Es ist der Ansicht, ohne weitere Aufklärung könne derzeit nicht verlässlich festgestellt werden, dass die Erblasserin bei der Testamentserrichtung in einem „lichten Augenblick“ gehandelt habe. Testierunfähigkeit liege nicht nur vor, wenn der Erblasser sich keine Vorstellung davon mache, überhaupt ein Testament zu errichten oder dessen Inhalt und Tragweite nicht einordnen könne. Sie sei vielmehr auch dann gegeben, wenn allein die Motive für die Errichtung des Testaments auf einer krankheitsbedingten Unfreiheit beruhten. „Auch derjenige, der nicht in der Lage ist, sich über die für und gegen seine letztwillige Verfügung sprechenden Gründe ein klares, von krankhaften Einflüssen nicht gestörtes Urteil zu bilden und entsprechend zu handeln“, sei testierunfähig, so das OLG.  Es gehe nicht darum, den Inhalt der letztwilligen Verfügung auf seine Angemessenheit hin beurteilen zu können. Maßgeblich sei vielmehr, ob „die Freiheit des Willensentschlusses durch krankhafte Störungen der Motiv- und Willensbildung aufgehoben ist.“ Grundsätzlich gebe es auch keine nach „Schwierigkeitsgrad des Testaments abgestufte Testierfähigkeit; die Fähigkeit zur Testamentserrichtung ist entweder gegeben oder fehlt ganz.“

Wahnhafte Störungen könnten in Abgrenzung zu alterstypischen „verbohrten“ Meinungen dann die freie Willensbildung ausschließen, wenn sie krankhaft seien. Dies sei der Fall, wenn eine „Abkoppelung von Erfahrung, Logik und kulturellen Konsens sowie der Verlust der Kritik und Urteilsfähigkeit“ vorliege. Zur Testierunfähigkeit führten derartige Wahnvorstellungen, wenn sie sich auch inhaltlich auf die Frage der Rechtsnachfolge von Todes wegen bezögen.

Aufzuklären sei hier, ob die Erblasserin unter chronischem Wahn gelitten habe. Sofern sich eine chronische Störung bei der Beurteilung der Testierfähigkeit feststellen lasse, seien jedenfalls nach der dem Senat verfügbaren wissenschaftlichen Literatur kurzfristige „luzide Intervalle“ praktisch ausgeschlossen. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Erblasserin die Beschwerdegegner im Zusammenhang mit ihren gegebenenfalls wahnhaften Bestehlungsängsten kennengelernt habe.

Der Beschluss ist nicht anfechtbar. Er kann in Kürze im Volltext unter www.lareda.hessenrecht.hessen.de abgerufen werden.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 17.8.2017, Az. 20  W 188/16
(vorausgehend Amtsgericht Idstein, Beschluss vom 30. 5.2016, Az. 22 W 123/15 (2015))

Erläuterungen:
§ 2229 Abs. 4 BGB (Testierunfähigkeit):
Wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen
Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, kann ein Testament nicht errichten.