Quelle: Beschluss des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 18.03.2025 – 1 WF 32/25
Kernaussage:
Eine Sorgerechtsvollmacht kann die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge gemäß § 1671 Abs. 1 Nr. 2 BGB entbehrlich machen, wenn sie dem betreuenden Elternteil ermöglicht, in den wesentlichen Angelegenheiten des Kindes eigenständig und wirksam zu handeln. In diesem Fall kommt es nicht mehr auf Kommunikationsprobleme zwischen den Eltern an.
Sachverhalt:
- Die geschiedenen Eltern einer sechsjährigen Tochter haben gemeinsames Sorgerecht.
- Das Kind lebt bei der Mutter.
- Der Vater hat der Mutter im Juli 2024 eine notariell beglaubigte Sorgerechtsvollmacht für alle Angelegenheiten der elterlichen Sorge erteilt.
- Im Dezember 2024 beantragte die Mutter die Übertragung der Alleinsorge auf sich mit der Begründung:
- Totale Kommunikationsverweigerung des Vaters.
- Sorgerechtsvollmachten würden von Ärzten, Behörden und Banken häufig nicht akzeptiert.
- Sie beantragte zugleich Verfahrenskostenhilfe (VKH).
Entscheidung:
- Das AG wies den VKH-Antrag ab, weil keine hinreichende Erfolgsaussicht für die Hauptsache bestand.
- Das OLG bestätigte diese Entscheidung:
- Die Sorgerechtsvollmacht reicht aus, um dem Kindeswohl zu entsprechen.
- Es gibt keine ausreichenden Belege, dass die Vollmacht in der Praxis unbrauchbar sei.
- Es fehlt an einem konkreten Nachweis, dass Behörden oder Ärzte die Vollmacht tatsächlich ablehnen.
- Damit fehlt die Grundlage für eine gerichtliche Sorgerechtsübertragung.
- Alleinsorge ist ein schwerwiegender Eingriff in das Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 GG) und nur zulässig, wenn keine milderen Mittel verfügbar sind.
Rechtliche Würdigung:
- Nach § 1671 Abs. 1 Nr. 2 BGB kann ein Elternteil die Alleinsorge erhalten, wenn:
- Die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl widerspricht.
- Ein Mindestmaß an Kooperation nicht mehr vorhanden ist.
- ABER: Diese Regel greift nicht, wenn der betreuende Elternteil durch eine wirksame Vollmacht faktisch allein handlungsfähig ist.
- Maßgeblich ist eine Einzelfallprognose, ob die Vollmacht das Konfliktpotenzial in Zukunft ausschaltet.
- Nicht erforderlich ist Kooperation, wenn die Vollmacht alle entscheidenden Lebensbereiche abdeckt.
Praxishinweis:
- Laut BGH (NJW 2020, 2182) ist die Sorgerechtsvollmacht ein milderes Mittel gegenüber der Alleinsorge.
- Sie muss im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bereits bestehen.
- Ihre Widerruflichkeit steht der Wirksamkeit nicht grundsätzlich entgegen, kann aber im Einzelfall zu berücksichtigen sein.
- Wer eine Alleinsorge trotz erteilter Vollmacht beantragt, trägt die Beweislast, dass diese für das Kindeswohl unzureichend oder unpraktikabel ist.
Fazit:
Ein Antrag auf Alleinsorge hat keine Aussicht auf Erfolg, wenn eine wirksame Sorgerechtsvollmacht besteht, durch die der betreuende Elternteil wirksam und alleine handeln kann, selbst bei Kommunikationsverweigerung des anderen Elternteils. Das Gericht verlangt konkrete Nachweise, dass die Vollmacht im Alltag nicht anerkannt wird. Andernfalls ist der Antrag nicht verhältnismäßig und somit unzulässig.