VGH Mannheim: Corona-Verordnung: Quarantänepflicht für die „Kontaktperson der Kontaktperson“ eines mit einer Virusvariante Infizierten außer Vollzug gesetzt

Quelle: Pressemitteilung des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim vom 17.03.2021 – Beschluss vom 16.03.2021 – 1 S 751/21

Kurzbeschreibung: Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat mit soeben den Beteiligten bekannt gegebenem Beschluss von gestern einem Eilantrag gegen die Quarantänepflicht für die „Kontaktperson der Kontaktperson“ eines mit einer Virusvariante Infizierten stattgegeben.

Hintergrund:

Die von der Landesregierung erlassene CoronaVO Absonderung regelt die Quarantänepflicht von mit dem Virus SARS-CoV-2 infizierten oder krankheitsverdächtigen Personen und deren haushaltsangehörigen Personen.

Der Verordnung liegen gemäß ihrem § 1 folgende Begriffsbestimmungen zugrunde:

„3. ‚Positiv getestete Person‘ ist jede Person, der vom Gesundheitsamt oder von der die Testung vornehmenden oder auswertenden Stelle mitgeteilt wurde, dass eine bei ihr vorgenommene PCR-Testung oder ein bei ihr vorgenommener Antigentest für den direkten Erregernachweis des Coronavirus ein positives Ergebnis aufweist;

4. ‚Haushaltsangehörige Person‘ ist jede Person, die mit der positiv getesteten Person in einer faktischen Wohngemeinschaft zusammenlebt;

5. ‚Kontaktperson der Kategorie I‘ ist jede Person, die nach den jeweils geltenden Kriterien des Robert Koch-Instituts von der zuständigen Behörde als solche eingestuft wurde;

6. ‚Kontaktpersonen der Kategorie Cluster-Schüler‘ sind Schülerinnen und Schüler, die von der zuständigen Behörde als solche eingestuft wurden, da sie ausschließlich im Schulkontext mit einer positiv getesteten Schülerin oder einem positiv getesteten Schüler aus der eigenen Schulklasse oder Kursstufe Kontakt hatten;

7. ‚Besorgniserregende Virusvarianten‘ sind die Varianten des Coronavirus, die mit dem Risiko eines schwereren Krankheitsverlaufs oder einer höheren Übertragbarkeit einhergehen, insbesondere die Varianten B.1.1.7, B.1.351 und P.1;

8. ‚Kontaktpersonen der Kontaktperson‘ sind haushaltsangehörige Personen einer in Nummer 5 und 6 genannten Kontaktperson.“

§ 4a Sätze 1 und 2 der CoronaVO Absonderung bestimmen: „Besteht bei einer Kontaktperson der Kategorie I oder Kontaktperson der Kategorie Cluster-Schüler eine Pflicht zur Absonderung und wurde bei der positiv getesteten Person eine besorgniserregende Virusvariante identifiziert, müssen sich die Kontaktpersonen der Kontaktperson unverzüglich nach der Mitteilung durch die zuständige Behörde in Absonderung begeben. Die Absonderung der Kontaktpersonen der Kontaktperson endet mit dem Ende der Absonderungszeit der Kontaktperson der Kategorie I oder Kontaktperson der Kategorie Cluster-Schüler nach Mitteilung durch die zuständige Behörde“.

Sachverhalt:

Gegen § 4a Sätze 1 und 2 der CoronaVO Absonderung haben sich mit einem Eilantrag eine Staatsanwältin und ein Rechtsanwalt gewandt. Sie sind verheiratet und Eltern dreier schulpflichtiger Kinder. Das jüngste Kind besucht eine Grundschule, in der derzeit Präsenzunterricht im Wechselmodell stattfindet. Die beiden anderen Kinder besuchen weiterführende Schulen, an denen gegenwärtig noch kein Präsenzunterricht angeboten wird. Die angefochtenen Vorschriften seien unverhältnismäßig. Die Cluster von Schülerinnen und Schülern bestünden zurzeit regelmäßig aus mindestens zehn Personen. Bei angenommenen drei Haushaltsangehörigen pro Kind resultiere aus der angefochtenen Regelung eine zwingende 14tägige Quarantäne für mindestens 40 Personen zu jedem einzelnen Infektionsfall mit einer Virusvariante. Der Kreis der von diesem Mechanismus betroffenen Personen könne, wie sich in der Praxis bereits gezeigt habe, unter Umständen auch deutlich größer sein. Bei der in der Grundschule anstehenden Rückkehr zum Präsenzunterricht ohne Wechselmodell werde ein Infektionsfall bei der üblichen Klassengröße von ca. 25 Kindern für etwa 100 Personen eine Quarantäne auslösen.

Die Landesregierung ist dem Antrag entgegengetreten. Die in Baden-Württemberg flächendeckend festgestellten Virusvarianten wiesen eine erheblich höhere Infektiosität auf, als der sog. Wildtyp des SARS-CoV-2-Virus. Die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung von einer infizierten Person auf eine Person der Kategorie I sei damit signifikant erhöht. Dies gelte insbesondere für Kontaktpersonen der Kategorie Cluster-Schüler in der Grundschule, weil gerade bei jüngeren Schülerinnen und Schülern die konsequente Einhaltung von Hygienevorgaben nicht vollständig umsetzbar sei. Hinzu komme, dass Haushaltsangehörige einer Kontaktperson I untereinander in der Regel sehr engen und dauerhaften Kontakt pflegten.

Der 1. Senat des VGH hat dem Eilantrag stattgegeben und § 4a Satz 1 und 2 der Corona-Verordnung Absonderung vorläufig außer Vollzug gesetzt. Zur Begründung führt er u.a. aus, für die angefochtene Regelung bestehe voraussichtlich keine ausreichende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage. Bei „Kontaktpersonen von Kontaktpersonen“ handele es sich voraussichtlich nicht um Personen aus dem Kreis derjenigen Personen, die nach § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG allein Adressaten einer Absonderungspflicht sein können. Insbesondere seien diese keine Ansteckungsverdächtige im Sinne von § 30 Abs. 1 Satz 2, § 2 Nr. 7 IfSG. „Ansteckungsverdächtiger“ sei eine Person, von der anzunehmen sei, dass sie Krankheitserreger aufgenommen habe, ohne krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider zu sein. Ausreichend sei dabei, dass die Annahme, der Betroffene habe Krankheitserreger aufgenommen, wahrscheinlicher sei als das Gegenteil.

Für „haushaltsangehörige Personen“, „Kontaktpersonen der Kategorie I“ sowie „Kontaktpersonen der Kategorie Cluster-Schüler“ dürfte ein hinreichender Ansteckungsverdacht anzunehmen sein. Für „Kontaktpersonen der Kontaktpersonen“ gelte dies hingegen voraussichtlich nicht. Nach der Bewertung des Robert Koch-Instituts könnten Haushaltsangehörige von Kontaktpersonen der Kategorie I nicht ohne weiteres – alleine wegen ihrer Haushaltszugehörigkeit – als ansteckungsverdächtig eingeordnet werden. Konkret nachvollziehbare und belastbare tatsächliche Grundlagen, die eine von dem Robert Koch-Institut abweichende epidemiologische Einschätzung rechtfertigen würden, habe die Landesregierung nicht benannt.

Der Beschluss vom 16. März 2021 ist unanfechtbar (Az. 1 S 751/21).