Quelle: Beschluss des BGH vom 26.03.2025 – XII ZB 388/24 (Fortführung des Senatsurteils vom 09.01.2008 – XII ZR 170/05)
Leitsatz:
Der notwendige Selbstbehalt eines Unterhaltspflichtigen kann wegen einer gemeinsamen Haushaltsführung mit einem neuen Partner herabgesetzt werden – jedoch nicht unter das sozialhilferechtliche Existenzminimum.
Sachverhalt:
- Kläger ist ein minderjähriges Kind, das von seinem Vater (Beklagter) Kindesunterhalt verlangt.
- Der Vater lebt mit einer neuen Lebensgefährtin und deren zwei Kindern zusammen.
- Sein Einkommen wechselte zwischen Leiharbeit (1.020–1.145 € netto) und Arbeitslosengeld I (937 €).
- Er wurde zur Zahlung rückständigen und laufenden Unterhalts verurteilt.
- Das OLG Karlsruhe gewährte dem Vater einen hohen Selbstbehalt, da er mit seiner neuen Partnerin in einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft lebt.
- Der Sohn legte Revision ein.
Kernaussagen des BGH:
1. Einkommensermittlung:
- Arbeitslosengeld I zählt voll als Einkommen.
- Der Vater hätte sich mehr um Vollzeitbeschäftigung bemühen müssen.
- Das Gericht hätte prüfen müssen, ob fiktiv höhere Erwerbseinkünfte (aus zumutbarer Tätigkeit) anzurechnen sind.
- Die Zurechnung eines fiktiven Nebeneinkommens von 150 € ist nicht ausreichend begründet.
2. Selbstbehalt:
- Der dem Unterhaltspflichtigen zu belassene notwendige Selbstbehalt ist nicht starr, sondern richtet sich nach:
- dem sozialhilferechtlichen Existenzminimum,
- der Art des Unterhalts (hier: minderjähriges Kind, also gesteigerte Pflicht),
- dem tatsächlichen Lebensbedarf.
- Es ist nicht gerechtfertigt, dem Vater den höheren Selbstbehalt eines Erwerbstätigen zuzugestehen, nur weil ein kleines Nebeneinkommen angenommen wird.
- Bei überwiegend nicht erwerbstätigem Einkommen (z.B. Arbeitslosengeld) kommt nur der niedrigere Selbstbehalt für Nichterwerbstätige oder ein dazwischen liegender Wert in Betracht.
3. Herabsetzung des Selbstbehalts bei neuer Lebensgemeinschaft:
- Das Zusammenleben mit einem neuen Partner kann zu einer Kostenersparnis führen (Synergieeffekte).
- Eine solche Ersparnis muss unter Umständen den Selbstbehalt mindern, z.B. bei gemeinsamen Ausgaben für Unterkunft oder Haushaltsführung.
- Dies gilt auch bei nicht ehelicher Gemeinschaft, nicht nur bei Ehe.
- Eine Herabsetzung ist zulässig, aber nicht unter das sozialhilferechtliche Existenzminimum.
4. Umgangskosten:
- Kosten für den Umgang mit dem Kind (z. B. Fahrtkosten) können den Selbstbehalt maßvoll erhöhen, wenn kein Kindergeldanteil anrechnungsfrei verbleibt.
- Die Annahme des OLG, es entstünden nur 15 € monatlich, war unzureichend, da zusätzliche Fahrkosten (z. B. Pkw-Nutzung) nicht berücksichtigt wurden.
Ergebnis:
- Das Urteil des OLG wurde aufgehoben.
- Die Sache wurde zurückverwiesen, weil:
- das Einkommen falsch bewertet wurde (fehlende Prüfung fiktiven Vollzeiteinkommens),
- ein zu hoher Selbstbehalt angesetzt wurde,
- eine Herabsetzung wegen gemeinsamer Haushaltsführung zu Unrecht abgelehnt wurde,
- die Umgangskosten unzureichend berücksichtigt wurden.
Bedeutung der Entscheidung:
- Der BGH klärt erstmals eindeutig, dass auch nichteheliche Lebensgemeinschaften bei der Selbstbehaltsbemessung zu berücksichtigen sind.
- Der Selbstbehalt darf bei Ersparnissen aus gemeinsamer Haushaltsführung unterhalb des Regelsatzes der Leitlinien, aber nicht unter das Existenzminimum gesenkt werden.
- Die wirtschaftliche Realität des Unterhaltspflichtigen ist umfassend zu berücksichtigen – sowohl bei Belastungen als auch bei Entlastungen.