OLG Stuttgart: Wirksamkeit eines irakischen Brautgabeversprechen

Quelle: Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 23.09.2025 – 17 UF 73/25

Gericht, Entscheidung und Streitgegenstand
Der Beschluss des OLG Stuttgart vom 23.09.2025 (17 UF 73/25) betrifft den Anspruch einer Ehefrau auf eine im Irak vereinbarte Brautgabe („mahr“). Die Parteien hatten die Ehe 1989 im Irak geschlossen und 1997 in Deutschland nochmals standesamtlich geheiratet; später erwarben beide die deutsche Staatsangehörigkeit. Nach der Trennung 2022 wurde die Ehe 2024 in Deutschland geschieden und ein Versorgungsausgleich durchgeführt. In einem abgetrennten Verfahren verlangte die Ehefrau die Herausgabe der vereinbarten Brautgabe in Höhe von 500 goldenen Lira (türkische Goldmünzen) oder ersatzweise Zahlung des Eurogegenwerts.

Tenor und Ergebnis
Das OLG änderte die erstinstanzliche Entscheidung teilweise ab: Der Ehemann muss nicht 500, sondern 425 goldene türkische Lira (je 6,6 g, 916er Gold) an die Ehefrau übergeben und übereignen. Er erhält hierfür eine Frist von drei Wochen ab Rechtskraft. Bei Nichtleistung schuldet er statt dessen 224.751,17 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem ersten Tag nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist. Im Übrigen wurde der Antrag abgewiesen; die weitergehende Beschwerde des Ehemannes blieb ohne Erfolg. Die Kosten wurden zu 15 % der Ehefrau und zu 85 % dem Ehemann auferlegt; die Rechtsbeschwerde wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Sachverhalt und Parteivorbringen
In der irakischen Heiratsurkunde ist eine im Voraus bezahlte Morgengabe (25 Metkal Gold) sowie eine bis zur Scheidung oder bis zum Tod „im Gewissen des Ehemannes verbleibende“ Brautgabe von 500 goldenen Lira dokumentiert. Die Ehefrau machte geltend, „goldene Lira“ sei im irakischen Kontext als türkische Goldlira (22 Karat/916er, 6,6 g) zu verstehen; der aktuelle Marktpreis sei bestimmbar und wegen der Stundung bis zur Scheidung sei der Wert im Zeitpunkt der Scheidung bzw. Geltendmachung maßgeblich. Der Ehemann wandte u.a. ein, die irakische Eheschließung sei möglicherweise unwirksam; jedenfalls sei die Durchsetzung in Deutschland sittenwidrig bzw. wegen krasser Überforderung unzumutbar. Hilfsweise verlangte er eine Bewertung nach dem Goldpreis von 1989 und rügte die fehlende Bestimmbarkeit der „500 goldenen Lira“. Zudem verlangte er eine Anpassung an die in Deutschland veränderten Lebensverhältnisse (Erwerbsbiografien, Vermögen, Einkommen).

Internationale Zuständigkeit und Einordnung der Brautgabe
Das OLG bejahte die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte. Es ordnete die Brautgabe als vermögenswerte Regelung mit engem Bezug zu Eheschließung und -auflösung ein, sodass sich eine güterrechtliche Anknüpfung im Sinne der EuGüVO (EU 2016/1103) aufdrängt. Für das anzuwendende Sachrecht verneinte der Senat jedoch die Anwendbarkeit der EuGüVO, weil die Ehe vor dem 29.01.2019 geschlossen wurde (Art. 69 Abs. 3 EuGüVO). Maßgeblich sei daher – der noch maßgeblichen BGH-Linie folgend – die kollisionsrechtliche Behandlung der Brautgabe als allgemeine Ehewirkung über Art. 14 EGBGB.

Anwendbares Recht und Statutenwechsel („Wandelbarkeit“)
Der Senat trennt strikt zwischen

  • der ursprünglichen Wirksamkeit des Brautgabeversprechens (abgeschlossener Tatbestand) und
  • den späteren Wirkungen bei Geltendmachung in Deutschland.

Für die Entstehung und Wirksamkeit der Brautgabe sei nach Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB a.F. irakisches Recht anzuwenden, weil die Parteien 1989 irakische Staatsangehörige waren. Für die Wirkungen im Übrigen – insbesondere für eine Anpassung wegen veränderter Umstände (Störung der Geschäftsgrundlage) – sei nach Art. 14 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB n.F. ab dem 29.01.2019 deutsches Recht maßgeblich. Der Senat betont hierbei die „Wandelbarkeit“ des Brautgabeversprechens bei Statutenwechsel: Es sei nicht „versteinert“, sondern die Wirkungen seien ex nunc nach dem neuen Statut zu beurteilen.

Wirksamkeit der irakischen Eheschließung und der Brautgabevereinbarung nach irakischem Recht
Das OLG hatte keine Zweifel an der Wirksamkeit der 1989 im Irak geschlossenen Ehe. Es stellte auf das irakische Personalstatutgesetz (Nr. 188/1959 in den maßgeblichen Fassungen) ab und leitete aus der gerichtlichen Registrierung und der Beweiskraft der Urkunde ab, dass Unwirksamkeitsgründe nicht ersichtlich seien. Für die Brautgabe seien zudem keine besonderen Formvorschriften einschlägig; nach Art. 11 Abs. 1 EGBGB genügte die Einhaltung der Form des Orts- bzw. Geschäftsrechts, und das irakische Recht sehe insoweit keine weitergehenden Formerfordernisse vor. Ein Scheingeschäft verneinte der Senat mangels klarer Anhaltspunkte; vielmehr habe die Brautgabe für die Ehefrau existenzsichernde Bedeutung gehabt.

Bestimmtheit der geschuldeten „500 goldenen Lira“
Der Senat hielt die Vereinbarung für hinreichend bestimmbar. Aus irakischer Sicht sei eine Präzisierung möglich; als zulässige Konkretisierung könne auf die türkische Goldlira abgestellt werden (u.a. historischer Kontext, keine „irakische Lira“ als Goldmünze, traditionelle Verwendung). Dass der Ehemann die Münzen bei Vertragsschluss nicht besessen habe, sei unerheblich; er trage als Versprechender das Beschaffungsrisiko. Die von der Ehefrau vorgenommene Konkretisierung (6,6 g, 916er Gold) sei zudem im Verfahren nicht substantiiert erschüttert worden; Streit bestand im Kern über den Bewertungszeitpunkt, nicht über die Identität der Münze.

Ordre public und (fehlende) Sittenwidrigkeit
Auch wenn das deutsche Recht das Institut der Brautgabe nicht kennt, verneinte das OLG einen Verstoß gegen den inländischen ordre public (Art. 6 EGBGB) und sah den Auszahlungsanspruch der Ehefrau im Grundsatz als mit deutschen Grundwertungen vereinbar an. Ein ordre-public-Verstoß komme nur in Ausnahmefällen in Betracht, etwa bei gravierendem Verhandlungsungleichgewicht oder erkennbarer krasser Überforderung. Solche Umstände stellte der Senat hier nicht fest. Insbesondere sei die bloße Höhe der versprochenen Leistung nicht automatisch ein Unwirksamkeitsgrund; zudem habe der Ehemann im Jahr 1989 nach eigenem Vortrag eine wirtschaftlich starke Position (Busunternehmen, gehobene Mittelschicht) gehabt.

Vertragsanpassung nach deutschem Recht wegen Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB)
Entscheidend ist die Anpassung der Brautgabe an die in Deutschland eingetretenen Verhältnisse. Das OLG führte aus, dass der Statutenwechsel allein keine Störung der Geschäftsgrundlage begründe; maßgeblich seien jedoch die Folgen des Wechsels des Scheidungs- und Folgesachenstatuts (Scheidung und Unterhalt nach deutschem Recht) und insbesondere die Einführung des Versorgungsausgleichs als dem irakischen Recht fremder Absicherungsmechanismus. Die zentrale Funktion der Brautgabe sei die wirtschaftliche Absicherung der Ehefrau nach Scheidung. Wenn die Ehefrau durch den deutschen Versorgungsausgleich zusätzlich Anwartschaften erhalte, entfalle die Prämisse einer fehlenden Absicherung teilweise; eine ungekürzte Kumulation von voller Brautgabe und Versorgungsausgleich könne zu einer unbilligen Doppelbegünstigung führen. Deshalb kürzte der Senat die Brautgabeverpflichtung um den der Ehefrau im Versorgungsausgleich zustehenden Saldo aus dem Wertausgleich (§§ 10 ff. VersAusglG).

Konkret ermittelte das Gericht einen Kapitalwertsaldo zugunsten der Ehefrau von 40.023,83 €. Den von der Ehefrau zugrunde gelegten Stückwert (529,55 €) akzeptierte der Senat jedenfalls als Untergrenze und stellte zusätzlich klar, dass der Goldpreis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (05.08.2025) sogar höher gelegen habe. Ausgehend von 500 Münzen (Gesamtwert 264.775 €) minus 40.023,83 € ergab sich ein gekürzter Wert von 224.751,17 €, was rechnerisch 425 Goldmünzen entspreche. Eine weitergehende Anpassung lehnte der Senat ab: Nachehelichen Unterhalt habe die Ehefrau nicht geltend gemacht; außerdem wäre die Brautgabe dort als Vermögensposition zu berücksichtigen. Auch der hälftige Erlös aus dem Verkauf der gemeinsamen Immobilie (84.000 € je Ehegatte) rechtfertige keine Kürzung, weil nicht ersichtlich sei, dass Vermögensaufbau im Irak ausgeschlossen gewesen wäre und der Statutenwechsel darauf keinen entscheidenden Einfluss habe.

Durchsetzung, Fristsetzung und Schadensersatz
Das OLG bestätigte die titulierte Frist zur Erfüllung (drei Wochen ab Rechtskraft) und die Gestaltung als Wahl zwischen Naturalrestitution (Übereignung der Goldmünzen) und Geldersatz im Nichterfüllungsfall. Die rechtliche Grundlage sah es in den verfahrensrechtlichen Vorschriften (§ 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. §§ 255 Abs. 1, 259 ZPO) sowie materiellrechtlich in §§ 280, 281 BGB. Verzinsung setzte das Gericht erst für den Zeitraum nach Fristablauf an; weitergehende Zinsen wurden abgewiesen.

Bedeutung der Entscheidung
Der Beschluss konkretisiert für Brautgaben aus dem islamisch geprägten Rechtsraum die zweistufige kollisionsrechtliche Prüfung (Wirksamkeit nach dem ursprünglichen ausländischen Statut; Wirkungen und Anpassung nach deutschem Recht bei Statutenwechsel) und entwickelt eine belastbare Leitlinie für die Anpassung der Brautgabe an deutsche Scheidungsfolgen, insbesondere durch Verrechnung mit dem Versorgungsausgleich.